February 20, 2025

Deutschlands wichtigste Wette auf die Zukunft (Handelsblatt, erschienen am 07.02.2025)

Deutschlands wichtigste Wette auf die Zukunft (Handelsblatt, erschienen am 07.02.2025)

Handelsblatt | 07.02.2025

—Innovation —

Deutschlands wichtigste Wette auf die Zukunft

Handelsblatt Insight

Biotechnologie zählt zu den vielversprechendsten Wirtschaftsfeldern. Die Bundesrepublik zeigt dabei laut einer neuen Studie überraschende Stärken. Experten sehen allerdings Probleme, die dringend gelöst werden müssen.

Der deutsche Mikrobiologe Robert Koch findet 1882 den Erreger für die Krankheit Tuberkulose. 1895: Wilhelm Conrad Röntgen entdeckt in Würzburg durch Zufall die Röntgenstrahlen. 1897: Ein Chemiker der Bayer AG entdeckt das Aspirin. Deutschland galt lange als Apotheke der Welt – und hat noch heute viel zu bieten. So entwickelte das Mainzer Unternehmen Biontech 2020 in kürzester Zeit einen Corona-Impfstoff. Der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk zahlte 2024 rund eine Milliarde Euro für das Biotech-Unternehmen Cardior aus Hannover.

Die Vorzeichen sind also gut für Deutschlands Biotech-Sektor. Das Land könnte „äußerst wettbewerbsfähig“ sein, heißt es in einer bisher unveröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts für Deep-Tech-Innovation an der European School of Management and Technology Berlin (ESMT). Aber es gibt laut Experten auch gravierende Probleme. So wächst die Gefahr, dass Biontech ein Einzelerfolg bleibt. „Die Zeit drängt“, sagt Francis de Véricourt, Studienautor und Gründer des Deep-Tech-Instituts. Noch fünf Jahre habe Deutschland, um die Weichen zu stellen. „Wenn das nicht klappt, drohen wir den Anschluss zu verlieren.“

Der Verlust wäre riesig: Biotechnologie ist nach Meinung von Zukunftsforscherin Amy Webb ein wesentlicher Baustein für einen „Technologie-Superzyklus“, der mithilfe von Künstlicher Intelligenz, hochentwickelten Sensoren und Bioingenieurwissenschaften „die Welt auf weitreichende und unvorhersehbare Weise umgestaltet“. Es lockt ein riesiger Markt. Laut dem Analysedienstleister Evaluate Pharma belief sich der weltweite Pharmaumsatz mit Biopharmazeutika 2023 auf rund 421 Milliarden Dollar. Bis 2030 könnte der Biotech-Umsatz auf rund 802 Milliarden Dollar steigen.

Es stellt sich die Frage, wo Deutschland in der Biotechnologie steht. Drei Punkte müssen sich ändern, damit Deutschland im Bereich der Biotechnologie seine Chancen nicht verspielt.

2024 stieg die Summe der Biotech-Finanzierungen in Deutschland um knapp 80 Prozent auf 1,92 Milliarden Euro, wie Zahlen des Branchenverbands Bio Deutschland und der Beratungsgesellschaft EY zeigen. Klammert man die Sondereffekte der Pandemie aus, als die Impfstoffentwickler Biontech und Curevac Rekordsummen einsammelten, ist das ein Allzeithoch.

Gegenüber 2019, dem Jahr vor Ausbruch der Coronapandemie, hat sich die Finanzierungssumme mehr als verdoppelt. Dabei kommt den Standorten Berlin, München und Heidelberg besondere Bedeutung zu. Berlin profitiert vor allem von der hohen Zahl an Krankenhausbetten, Heidelberg punktet bei der Grundlagenforschung, und München liegt bei Investitionen und Gründungen vorn.

Holger Reithinger, Partner beim Wagniskapitalgeber Forbion, hebt München hervor. Dort kämen viele Faktoren zusammen, die ein erfolgreicher Biotech-Standort benötigt. „Es braucht die Innovation, den gründungswilligen Innovator und den professionellen Technologietransfer. Es braucht Geldgeber und zudem erfahrene Manager, die ein neu gegründetes Unternehmen voranbringen können“, sagt er. Nicht zuletzt müssten diese Kräfte auch zusammengebracht werden – das Netzwerk ist nötig. Damit spricht Reithinger eine Sache an, die im großen Maßstab in Deutschland gar nicht gut funktioniert.

Es braucht die Innovation, den gründungswilligen Innovator und den professionellen Technologietransfer. Es braucht Geldgeber und zudem erfahrene Manager, die ein neu gegründetes Unternehmen voranbringen können.

Holger Reithinger Partner beim Wagniskapital -geber Forbion

Insight Innovation
Innovation ist Wirtschaft der Zukunft. Daher lohnt sich ein genauer Blick auf neue Produkte, Technologien und Verfahren. In der Serie „Insight Innovation“ will das Handelsblatt im Detail analysieren, wie Innovationen in Unternehmen funktionieren, welche Technologietrends auf uns zukommen und wie diese Branchen, Geschäftsmodelle und ganze Volkswirtschaften verändern.

Das Problem der mangelnden Kollaboration

„Bayern überholt Berlin“, „München und Co. holen Berlin ein“. So titelten diverse Zeitungen im Januar zu den Ergebnissen einer Studie der Wirtschaftsprüfung EY. Danach sammelten Start-ups aus Bayern 2024 2,33 Milliarden Euro an Wagniskapital ein – während Berliner Startups 2,17 Milliarden Euro holten. Damit ziehe der Freistaat erstmals an der Hauptstadt vorbei, hieß es in der Studie. Dieses Denken ist verständlich, regionale Rivalität ist Teil eines gesunden Wettbewerbsdenkens. Aber dahinter steckt laut Investoren und Experten eine Haltung, die Deutschland den globalen Anschluss bei der Biotechnologie kosten könnte.

„In Deutschland bauen viele Universitäten ihr eigenes Biotech-Hub auf, statt gemeinsam ein schlagkräftiges Zentrum zu formen“, kritisiert Studienautor de Véricourt. „Wir brauchen Konzentration, nicht Zersplitterung.“ Die deutschen Biotech-Hubs, resümiert die Biotech-Studie, kollaborieren nicht sonderlich intensiv miteinander.

Das beobachtet auch Andreas Schmidt, der selbst mehrere Biotech-Firmen gegründet hat und in Berlin ein Angel-Investor-Netzwerk mitgegründet hat. Ein großes Problem: „Ein Biotech-Cluster lebt von der kritischen Masse.“ Peer Schatz, langjähriger Vorstandsvorsitzender des Diagnostikunternehmens Qiagen und Aufsichtsrat in diversen Life-Science-Unternehmen, sagt: „An keinem der Standorte sind wir schon so weit, dass sich selbst entwickelnde, dynamische Ökosysteme entwickelt haben.“

Manager großer Biotech-Cluster sehen das ähnlich. „Die Konkurrenz sitzt in Boston, London und Israel, nicht in München oder Berlin“, sagt etwa Julia Schaft vom Biotech-Cluster Rhein-Neckar. „Wir müssen wegkommen von Egoismen in einzelnen Regionen“, sagt Start-upund Unternehmensberater Ingo Schroeter. Denn: „Deutschland kann im Biotech-Bereich nur bestehen, wenn es europäisch denkt – ohne enge Zusammenarbeit in Europa bleibt es chancenlos gegenüber den USA“, so Studienautor de Véricourt. Und Investor Matthias Kromayer von MIG Capital ergänzt: „Investoren ist es herzlich egal, an welchem Standort ein Unternehmen ist.“

Das Problem der Finanzierung

Vor allem die Frühphasenfinanzierung für Biotechs ist in Deutschland eine Herausforderung. Cluster-Manager Nils Schrader von BioNRW sieht das als eine der Hauptschwächen. Laut Branchenexperten liegt das auch daran, dass viele große Risikokapitalgesellschaften erst ab der Series-A-Runde einsteigen, wenn erste Daten aus präklinischen Studien vorliegen.

2023 sammelten Biotech-Start-ups in der Frühphase nur 203 Millionen Euro an Risikokapital ein und damit 29 Prozent weniger als noch 2022. Und das, obwohl das gesamte in die Biotech-Branche fließende Kapital um 17 Prozent wuchs, wie eine Studie von EY zeigt. 2024 sah es mit 548 Millionen Euro aber wieder besser aus.

Zwar gibt es auch in Deutschland Möglichkeiten, Geld in der frühen Phase einzusammeln – etwa durch verschiedene Stipendien, Programme der Bundesregierung oder öffentliche Seed-Finanzierer. Doch auch hier ist wieder die Fragmentierung das Problem: Gelder von Bundesländern etwa sind oft daran gebunden, dass das Unternehmen sich dort ansiedelt und bleibt.

Auch private Investoren wollen oft ihre eigene Region fördern. Oft fehle das Know-how, berichten diverse Gründer und Investoren dem Handelsblatt. Zudem gebe es Berührungsängste mit komplexen Biotech-Themen. Das beobachtet auch Gründer und Angel-Investor Schmidt: „Biotech-Start-ups sprechen eine andere Sprache als diejenigen, die altes Geld haben“, sagt er.

Hier setzt er mit seinem Netzwerk an, mit dem er bisher 23 Investments gemacht hat. Er nennt sie „FOMO“-Investments: Das steht für „fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen. „Wir investieren genau so viel, dass andere Investoren nervös werden und sich fragen, warum wir das interessant finden.“ Aus seiner Sicht fehlen in Deutschland Lead-Investoren, die frühe Investitionen im Life-Science-Bereich machen. „Bis die Start-ups das Geld kriegen, ist es oft zwei Jahre zu spät“, urteilt er.

Auch Kai Uwe Bindseil, Manager des Clusters für Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg, spricht von „signifikant schlechteren Venture-Capital-Bedingungen“ im Vergleich zu den USA. Das zeigt sich auch an Zahlen der Finanzierungsexperten von FCF Fox Corporate Finance: 2024 sammelte die deutsche Biotech-Branche insgesamt knapp 900 Millionen an Risikokapital ein, in den USA flossen umgerechnet mehr als 18 Milliarden Euro.

Die Finanzierung sei oft nicht darstellbar. „Deutschland braucht eine Risikokapitalstrategie, die die Abwanderung von Unternehmen, Köpfen und Patenten verhindert“, fordert Bind-seil. Schaft vom Biotech-Cluster Rhein-Neckar kritisiert die fehlenden Exit-Möglichkeiten für Biotech-Unternehmen in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Ländern hinkt Deutschland hinterher. Bei den wichtigsten europäischen Biotech-IPOs waren zuletzt keine deutschen Börsengänge dabei, heißt es auch in der Studie. Der Hoffnungsträger Biontech etwa hat sich schon 2019 für einen Börsengang an der Nasdaq entschieden. In den USA können Biotechs mehr Kapital einsammeln und eine höhere Bewertung erzielen als in Deutschland.

Das Problem, Wissenschaft zu kommerzialisieren

Die Fähigkeit der meisten deutschen Biotech-Zentren, Forschung in marktreife Lösungen zu überführen, hat in den vergangenen Jahren abgenommen, heißt es in der Biotech-Studie der Bertelsmann-Stiftung und ESMT. Dabei gilt, was Huss vom Biotech-Cluster in München sagt: „Wir haben nach wie vor eine exzellente Wissenschaft und Grundlagenforschung, die weltweit anerkannt ist.“

Das Problem lässt sich mit einem Begriff zusammenfassen: der Mentalität. Während es in den USA für Akademiker völlig normal ist, Unternehmen zu gründen und später wieder in die Wissenschaft zurückzukehren, ist das in Deutschland verpönt. „Nur wenige schaffen den Wechsel von einer Welt in die andere, und in der Regel werden sie von der Gemeinschaft, die sie verlassen, kritisch betrachtet“, sagt Investor Kromayer.

Während Unternehmertum in den USA Teil der akademischen Ausbildung sei, habe dies in Deutschland noch immer keinen Eingang in die Lehrpläne gefunden, moniert Kromayer. „Plakativ gesagt: Zu viele deutsche Wissenschaftler kennen den Unterschied zwischen Budget und Bilanz nicht.“ Immerhin gibt es etwa seit dem vergangenen Jahr mit Genenovate das erste deutschlandweite Programm, das Wissenschaftler im Bereich der Gen- und Zelltherapien zum Unternehmertum befähigen will.

Das Programm ist Teil des Nationalen Netzwerkbüros für Gen- und Zelltherapien, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung betrieben wird. Es ist am Berliner Universitätskrankenhaus Charité angesiedelt und derzeit an sechs Standorten tätig mit dem Ziel, Genenovate deutschlandweit auszurollen.

In diversen Workshops lernen Wissenschaftler, wie man gründet, seine Patente schützt, ein Medikament auf den Markt bringt und Investoren findet – und wie man später gegebenenfalls ein Unternehmen an die Börse bringt. Dazu werden sie mit Investoren vernetzt, etwa mit Biontech-Investor Thomas Strüngmann.

Als der gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder 2008 in Biontech investierte, hätte wohl niemand den Erfolg der Mainzer durch die Coronapandemie vorhersagen können. Was den Strüngmanns damals gelungen ist, lässt sich einfach zusammenfassen: Es gilt, die Technologie des Biotech-Unternehmens zu verstehen und das mögliche Potenzial vorauszusagen. Biontech habe Erfolg in Mainz gehabt, in einem Umfeld, das die Firma kaum gefördert habe, sagt ein Experte, der damit nicht namentlich zitiert werden will. Es gehe also auch so, sagt er. Aber: „Man muss sich nur mal vorstellen, was sie alles hätten erreichen können, wenn sie in einem Umfeld tätig wären, das sie fördern würde.“


Seite: 30 bis 31

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